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Parasoziale Beziehungen: Wie real sind sie wirklich?

Heutzutage findet ein Großteil unserer Kommunikation in den sozialen Netzwerken statt. Dies hat zur Folge, dass unsere sozialen Beziehungen sich in ihrer Art und Weise verändern. Wie sehr sich dadurch unsere Beziehungen außerhalb der sozialen Plattformen wie Instagram, TikTok und Co. verändern, möchte ich dir in diesem Beitrag veranschaulichen.


Was versteckt sich hinter dem Phänomen der „parasozialen Beziehungen“?


Grundsätzlich beschreibt eine parasoziale Beziehung die einseitige Beziehung einer Einzelperson zu einer Medienfigur, die real oder sogar fiktiv sein kann. Die Beziehungspartner können also sämtliche Personen der Öffentlichkeit sein, wie Prominente, Influencer, aber auch Film- und Zeichentrickfiguren. Klingt im ersten Moment ziemlich verrückt, oder?


Viele glauben, dass der Begriff der parasozialen Beziehungen erst mit den sozialen Netzwerken und der modernen Mediennutzung geprägt wurde. Das stimmt allerdings nicht ganz — parasoziale Beziehungen sind bereits seit hunderten von Jahren im sozialen Verhalten der Menschen zu beobachten. Strenggenommen kann beispielsweise auch die Beziehung zu einem Gott als parasoziale Beziehung bewertet werden und das Gebet als eine parasoziale Interaktion. Von Schaustellern, über Politiker bis hin zu Idolen konnten auch lange vor Instagram und Co. parasoziale Beziehungen mit Personas aus Radio, Fernsehen oder Film eingegangen werden.


Da mein Herz für die Social Media Welt brennt, konzentriere ich mich im Rahmen dieses Blogbeitrags besonders auf die parasoziale Beziehung, die wir mit Influencern führen können. Diese ist dadurch gekennzeichnet, wie wir als „Zuschauer“ und oft Teil einer „Community“ private Einblicke in das Leben der Medienfigur erhalten. Dies geht teilweise so weit, dass wir uns dem Influencer besonders nah und vertraut fühlen können — so als würden wir die Person bereits seit vielen Jahren privat kennen.


Darüber hinaus fühlen wir uns als Einzelperson stets persönlich angesprochen. Immer wieder wird uns durch Blickkontakt und Formulierungen wie „Ich muss euch etwas zeigen.“, „Leute, ich muss euch etwas erzählen.“ oder „Ihr habt euch gewünscht, dass ich euch das mal zeige.“ suggeriert, dass wir wahrgenommen und direkt angesprochen werden.


Eine Illusion der persönlichen Kommunikation.


Durch die heutigen Möglichkeiten, die wir durch die sozialen Netzwerke haben, wird diese Illusion natürlich verstärkt. Dadurch, dass wir auf Beiträge reagieren können, in einer Art und Weise, die das Verhalten der Medienfigur teilweise sogar beeinflusst, erleben wir die Beziehung fälschlicherweise nicht als einseitig. Somit kommt es immer wieder vor, dass Nutzer im Rahmen von Umfragen darüber bestimmen können, welche Aktion der Influencer im wahren Leben ausführt — aber eben nur als Mehrheit und in der Regel nicht als Einzelperson. In Wirklichkeit nimmt der Influencer seine Community als homogene Masse wahr.


Natürlich ist die parasoziale Interaktion für den Influencer nicht vollkommen irrelevant. Anhand daran, wie die Community auf verschiedene Interaktionsangebote reagiert, richtet er schließlich künftige Verhaltensweisen aus. Der Influencer nutzt dabei die Erwartungen und Reaktionen der Zuschauer als Orientierung. Dadurch, dass wir uns gehört, gesehen und insgesamt wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen, kann sich hier eine langfristig gefühlsmäßige Bindung entwickeln. Wir empfinden emotionale Nähe und Vertrautheit — und das eigentlich aus der Ferne.


Wie beeinflussen parasoziale Beziehungen unsere realen sozialen Beziehungen?


Vorab möchte ich darauf hinweisen, dass die Forschungsgrundlage hierzu (noch) sehr dünn ist. Da ich auf meinem Blog trotzdem gerne auf die Herausforderungen unserer Zeit hinweisen möchte, sind die hier veröffentlichten Informationen als meine persönliche kritische Auseinandersetzung zu verstehen.


Obwohl die parasoziale Beziehung sich deutlich von einer realen face-to-face Beziehung unterscheidet, wird sie oft als gleichwertig erlebt. Kein Wunder, denn parasoziale und reale Beziehungen weisen ähnliche Beziehungsmuster auf.


Das größte Abgrenzungskriterium liegt aber in der Einseitigkeit der parasozialen Beziehung. Sie sorgt dafür, dass durch den Influencer ausgelöste Emotionen in der Regel nicht ganz so stark empfunden werden, wie Emotionen, die durch gute Freunde oder Familie ausgelöst werden. Allerdings wird die emotionale Bindung zu einem Influencer teilweise stärker empfunden als die die zu einem guten Nachbarn.


Wie prägen parasoziale Beziehungen nun unsere realen Beziehungen?


Ich persönlich denke, dass die schein-face-to-face Beziehung dazu führen kann, dass wir ein völlig unrealistisches Bild davon bekommen, wie schnell ein Mensch zugänglich für uns wird. Je nachdem, wann wir einen Influencer entdecken, können wir innerhalb weniger Klicks die wichtigsten Daten und Fakten, aber auch prägende Lebenseinschnitte und sämtliche Details zur Lebenssituation erfahren. Im realen Leben läuft das anders. Wenn wir jemand neues kennenlernen, braucht es meist eine gewisse Zeit, ein „Warmwerden“, mit der Person, bis wir uns sicher genug fühlen, uns zu öffnen. Vertrautheit und Nähe müssen sich erst einmal verdient werden und werden dementsprechend auch mehr wertgeschätzt. Zahlreiche Studien belegen, dass Menschen Dinge besonders zu schätzen wissen, wenn sie dafür arbeiten mussten.


Andererseits ist eine parasoziale Beziehung natürlich einfacher in der Aufrechterhaltung. Gute Freundschaften und Beziehungen bedürfen der regelmäßigen Pflege. Durch die meisten parasozialen Beziehungen entsteht uns als Zuschauer kein wirklicher Aufwand. Die Belohnung hingegen fällt groß aus: Influencer liefern zuverlässig und konsistent den Content, den wir lieben und teilen weitreichende Einblicke in ihren Alltag sowie in ihre persönliche Gefühlswelt.


Ein weiterer Punkt ist, dass die emotionale Nähe zu einem Influencer natürlich den sozialen Vergleich fördert. Je mehr Informationen wir über eine Person der Öffentlichkeit sammeln, desto mehr können wir für uns entscheiden, inwieweit ihre Werte und Einstellungen mit uns räsonieren. Haben wir das Gefühl, dass der Influencer sich in einer ähnlichen Lebenssituation befindet wie wir selbst, tendieren wir eher dazu, uns an ihm zu messen. Während wir in realen sozialen Beziehungen in der Regel auch mal mitbekommen, wenn etwas schiefläuft, tragen tiefe parasoziale Beziehungen sicherlich auch zu verdrehten Realitätsansprüchen bei. Wie soziale Netzwerke uns ein schlechtes Gewissen verschaffen können, habe ich bereits in einem anderen Blogbeitrag thematisiert.


Was wir daraus mitnehmen sollten


Immer mehr Studien beschäftigen sich heute damit, wie die wahrgenommene Realität den Einfluss der Medienwelt auf uns bestimmt. Bei der parasozialen Beziehung handelt es sich um eine Illusion der Vertrautheit und dem persönlichen Kontakt. So wie wir von „unserer Serie“ sprechen, wenn wir eine bestimmte Sendung für uns entdeckt und in unseren Alltag integriert haben, sprechen wir heute auch von „unseren Influencern“ und hinterfragen die Art der Beziehung, die wir zu ihnen führen, nur selten.


Für mich resultiert daraus nur ein weiteres Argument dafür, die sozialen Netzwerke weniger passiv zu nutzen und stattdessen einen sehr bewussten Umgang zu wählen.


Du bist der gleichen Meinung oder siehst das völlig anders? Mit medienimkopf möchte ich zu einem aktiven Austausch anregen, schreib mir also gerne mal!

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